“In Würde altern” oder: Die Kunst, stilvoll älter zu werden

Wie altert man in Würde? Kann man stilvoll älter werden?

Seit einiger Zeit häufen sich im Netz kritische Artikel zum Thema “In Würde altern”.
Der Tenor: Wer betont, dass er sich mit über 50 bedeutend jünger fühlt, lügt sich selbst etwas vor. So jemand akzeptiert das Älterwerden nicht und erliegt seinem ewigen Jugendwahn, was von den Kritikern als ziemlich bemitleidenswert und als äußerst bedauerlich empfunden wird.

Und jetzt kommt der Clou: Ich fühle mich angesprochen! Denn:

Ich fühle mich jünger als die Zahl, die in schokoladigen Lettern auf meiner letzten Geburtstagstorte stand! Bin ich jetzt peinlich?

Ich hatte nie Probleme damit, ein neues rundes Jahrzehnt zu erreichen. 30? Herrlich! Eine Frau mit Erfahrung, einem tollen Job und attraktiv wie nie. 40? Kein Problem! Neuer Mann, immer noch gutaussehend und eine Gelassenheit, von der Dreißigjährige träumen. Aber 50? Absurd! Diese Fünf vor der Null symbolisiert ein halbes Jahrhundert. Ab jetzt ist man offiziell kaum noch in Jobs vermittelbar, die Wechseljahre klopfen an und im Fernsehen bewerben Fünfzigjährige Produkte gegen Blasenschwäche. Das bin doch nicht ich! Ich wünsche mir nicht, jünger zu sein -ich fühle mich nur jünger als ich bin. Und das soll verwerflich sein? Pffft!

Oder trügt mich etwa mein Gefühl? Will ich einfach nicht älter werden, und ist dieses “jünger fühlen als ich bin” nichts als ein großer Selbstbetrug? Kann ich schlicht und ergreifend nicht in Würde altern, und klammere ich mich an eine Jugend, die nicht wiederkommt?

Die Kunst, stilvoll älter zu werden

Die peinliche Alte vs. Paradiesvogel

Wir alle kennen “die peinliche Alte“, die nicht zu ihrem Alter steht. Auf die Frage nach selbigem antwortet sie ausweichend kokettierend mit Sätzen wie: “Was schätzen Sie denn”, oder ablenkend “Oh, schon so spät, ich habe noch einen dringenden Termin und muss weg”, oder eingeschnappt “Nach dem Alter zu fragen ist uncharmant”. Ihr kommt diese Zahl einfach nicht über die Lippen, weil sie sie nicht akzeptiert. Stattdessen inszeniert sie sich gerne als ewig Junggebliebene mit kurzen Röckchen, bauchfreien T-Shirts mit frechen Sprüchen und neckischen Kleinmädchenzöpfen. Fremdschämfaktor: hoch!

Warum aber schäme ich mich für solche Frauen? Weil sie nicht in Würde altern können? Weil sie sich als ewiger Twen verkaufen, obwohl ihre Haut und ihr Körper das wahre Alter verraten? Weil stilvoll älter zu werden für sie “alt sein” bedeutet?

Warum sind uns solche Frauen peinlich, während wir jemanden wie Iris Apfel als Stilikone und Modepionierin feiern? Ganz objektiv betrachtet trägt diese Frau eine karnevalswürdige Riesenbrille, kiloweise überdimensionierten Modeschmuck, Federboas und schrille Farben. Und das im Alter von inzwischen 95 Jahren! Was also ist der Unterschied zwischen der peinlichen Alten und einer Iris Apfel? Beide inszenieren sich, beide kokettieren mit ihrem Alter.

Die innere Haltung: Echt sein vs. ‘wirken wollen’

Ich denke, dass Menschen die sich wünschen jünger zu sein oder zu erscheinen, in Wahrheit unglücklich und unzufrieden sind. Sie können sich einfach nicht damit abfinden, dass sie altern, und akzeptieren sich letztendlich nicht so, wie sie sind!

Die modische Antwort darauf, was den feinen Unterschied zwischen der peinlichen Alten und einer Stilikone ausmacht, gibt uns Iris Apfel persönlich:

Fashion you can buy, but style you possess. The key to style is learning who you are, which takes years. There’s no how-to road map to style. It’s about self-expression and, above all, attitude. (Iris Apfel)

Die wissenschaftliche Antwort auf die Frage, warum sich manche Menschen jünger fühlen, als sie sind, fand ich kürzlich in dem Buch “Die Entschlüsselung des Alterns: Der Telomer-Effekt”* von der Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn. Sie schreibt:

Auch wenn die Jahre vergehen und das Geburtsdatum in unserem Ausweis uns daran erinnert, dass wir älter werden, fühlen sich viele von uns nach wie vor jung. Dies ist eine sehr positive Reaktion auf das Älterwerden. Ein jüngeres “gefühltes Alter” ist mit mehr Lebenszufriedenheit, persönlicher Weiterentwicklung und mehr sozialen Beziehungen verbunden. Sich jünger zu fühlen ist etwas anderes, als sich zu wünschen, jünger zu sein. (Quelle: Prof. Dr. Elizabeth Blackburn: “Die Entschlüsselung des Alterns: Der Telomer-Effekt”, S. 53)

Und damit ist der Vorwurf “Jugendwahn” für mich entkräftet. Ich darf mich ab jetzt mit wissenschaftlicher Erlaubnis jünger fühlen als ich bin – und Sie dürfen das auch!

Happy Aging!

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