Es gibt Städte, die liebe ich einfach:
Hamburg mit seinem ewigen Wind, der den Touristen in die Haare fährt und sie wie Struwwelpeter aussehen lässt. Oder München mit seiner behäbigen Gemütlichkeit und dem lässigen, etwas snobistischen Schick. Oder Venedig mit seinem morbiden Charme, wo Prunk, Paläste und Verfall einträchtig nebeneinander wohnen.
Und dann gibt es noch Stuttgart
Johnny Depp hat den Fluch der Karibik, ich habe den Fluch von Stuttgart.
Diese Stadt und ich, wir können einfach nicht miteinander. Unsere seltsame Beziehung begann vor circa zwei Jahrzehnten, als ich nach einem Kongress im Winter wieder nach Hause fahren wollte. Es war so kalt, dass der Tankdeckel meines Autos festgefroren war und sich nicht öffnen lies. Enteisungsspray war ausverkauft und der Stuttgarter Tankwart zuckte auf meine Frage, wie man denn den Tankdeckel wohl öffnen könne, nur gelangweilt mit den Schultern. Nein, er bräuchte sich das nicht ansehen, da könne man wohl nichts machen. Nein, die Nummer des ADAC kenne er auch nicht, “… und jetzt machen Sie bitte mal Platz, da möchte jemand bezahlen”. An Handys war damals noch nicht zu denken. Also stand ich in meinem Kostüm und High Heels, vor Kälte von einem Bein aufs andere trippelnd, draußen in der Kälte und stocherte ich in meiner Not mit meiner Nagelfeile am Tankdeckel herum. Schließlich erbarmte sich ein anderer Autofahrer und lieh mir sein Enteisungsspray. Getankt habe ich dann an einer anderen Tankstelle.
Ein wenig wie im Wilden Westen
Auch schön die damalige Erfahrung, dass man abends am Wochenende in Stuttgart besser keine Zahnschmerzen bekommt. Der zahnärztliche Notdienst sei nämlich nur für Stuttgarter gedacht, so erklärte man mir am Telefon. Eine nächtliche Fahrt in die Zahnklinik verlief ebenfalls ergebnislos, denn es fand sich dort weder ein Pförtner noch ein Arzt, der hätte helfen können. Eine Reinigungskraft, der ich beim Irren durch die Flure begegnete, zuckte nur gelangweilt die Schultern. Es hätte mich nicht weiter erstaunt, wäre einer dieser vertrockneten Büsche, die man aus Wildwestfilmen kennt, über die Gänge geweht. (An dieser Stelle danke ich ausdrücklich dem Erfinder von Ibuprofen – Sie haben mich vor Wahnsinn durch Zahnschmerz bewahrt).
“El Macho”
Aber die Zeit heilt so manche Enttäuschung, und so gab ich Stuttgart am vergangenen Wochenende erneut eine Chance. Aller guten Dinge sind drei und ich bin ein tendenziell gutmütiger Mensch. Das Seminarthema klang verlockend, das Designhotel war ansprechend designt, die Seminarteilnehmer waren allesamt sympathisch und am Abschlussabend im Restaurant war ich schon fast versöhnt mit Stuttgart. Bis der Restaurantleiter auf die Frage der Seminarleiterin, ob er bitte ein Taxi rufen könne, mit “Haben Sie denn kein Handy? Rufen Sie doch selber an!” antwortete.
Nach einem etwas gereizten Wortwechsel verschwand “El Macho” behäbigen Schrittes Richtung Telefon, und die abreisebereite Seminarleiterin wartete samt Koffer und weiteren Taschen auf ihr Taxi, um den Zug nach Köln zu erreichen. Sie erreichte ihren Zug natürlich nicht (Sie erinnern sich – der Fluch von Stuttgart), denn “El Macho” hatte offensichtlich kein Taxi gerufen.
Ich wünschte, ich hätte die darauf folgende flammende Rede gefilmt, die die empörte Seminarleiterin daraufhin mitten im Restaurant über “El Macho” ergoss. Sie war müde, sie war verschnupft, sie hatte dem Restaurant an zwei Seminartagen viele Gäste beschert, und dann diese bornierte Ignoranz – das war zu viel. In einem Spielfilm hätten an dieser Stelle wohl alle Gäste des Restaurants Beifall geklatscht. Im wahren Leben aber hielten wir alle beeindruckt die Luft an, bezahlten, ohne Trinkgeld zu geben, und wurden schließlich von einer sehr hilfsbereiten Stuttgarter Seminarteilnehmerin zum Bahnhof gefahren, wo die Seminarleiterin dann doch noch knapp den nächsten Zug erreichte.
Dass ich mein Notebook vor lauter Aufregung im Auto der hilfsbereiten Stuttgarterin vergaß und es durch eine Suchmeldung bei Twitter und Facebook und der geballten Schwarmintelligenz des Internet am nächsten Tag wieder bekam, dass die andere Seminarleiterin auf dem unübersichtlichen Stuttgarter Flughafen umherirrte und auch fast ihren Flieger verpasste, all das mag jetzt nicht wirklich überraschen. Einmal losgetreten lässt sich der Fluch von Stuttgart nur schwer aufhalten.
Nachtrag:
Liebes Stuttgart, du hast es immer noch drauf! Mit Deiner “Sie haben ein Problem? Ist mir doch egal-Mentalität”, kann ich mich einfach nicht anfreunden. Vielleicht komme ich in 20 Jahren zurück und wir versuchen es noch einmal miteinander. Ich mag dich ja nicht aufgeben.
Weiterhin betone ich hiermit ausdrücklich und aus vollem Herzen, dass ich ganz reizende Menschen kenne, die aus Stuttgart stammen – liebe Arbeits- und Bloggerkolleginnen, die ich als humorvolle und hilfsbereite Menschen schätze. Sie – und alle Stuttgartliebhaber – mögen mir diesen Beitrag verzeihen.
Liebe Valérie,
ich wollte es nicht, aber dein Post ist so toll geschrieben, dass ich eben erst einmal laut lachen musste. Dabei ist das gar nicht lustig! Oder war in der jeweiligen Situation jedenfalls alles andere als das. Dem dritten Akt des Dramas habe ich ja selbst beigewohnt und auch als Stuttgarterin war das für mich schwer zu verdauen und ja… so ziemlich unfassbar. Ansonsten war es ein wirklich schöner Tag mit tollen Menschen!
Liebe Grüße von Johnny und mir aus Stuttgart
Sonja
Liebe Sonja, vielen Dank für das nette Lob :-). Natürlich ist das Ganze ironisch überspitzt geschrieben. Ich muss ja inzwischen selbst lachen, was mir in Stuttgart immer für absurde Dinge passieren. Lieben Gruß, Valérie
Gib Stuttgart noch eine Chance und warte nicht 20 Jahre! Hier ist es schön, wirklich! Vielleicht erst auf den “dritten” Bick:) lg Eve
Liebe Eve, also wenn ich so nett darum gebeten werde, dann kann ich ja nicht nein sagen. Versprochen, ich wage einen dritten Blick ;-). Lieben Gruß, Valérie